Lieferinger Gemeindeplatz | Salzburg/Österreich 2004
Liefering ist ein Salzburger Stadtteil, dessen Ortskern lange durch die Autobahn von der Stadt getrennt war. Als nun vor wenigen Jahren ein Lärmschutztunnel gebaut wurde, entstand auf dem Tunnel eine neue Fläche, die der Ortschaft zur Verfügung steht. Die Fläche wurde als Sport- und Festwiese genutzt und ein großer Spielplatz gebaut – und endlich ergab sich die Möglichkeit für einen eigenen Dorfplatz.
Bei Grabungen wurden alte römische Steine geborgen. Die Steine, im Format zwischen 60 x 60 x 60 cm und 60 x 60 x 230 cm, waren grob zugespitzte Blöcke aus Untersberger „Marmor“. Dadurch, dass sie so lange geschützt unter der Erde lagen, waren sie in einem erstaunlich guten Zustand. „Die Steine schauten so aus, als hätten die Handwerker, die sie bearbeitet haben, erst gestern das Werkzeug aus der Hand gelegt“, erzählt Hartwig begeistert. Umso mehr empfindet er es als Ehre und Wertschätzung, dass ihm der Auftrag erteilt wurde, mit dem historischen Material einen Brunnen zu bauen.
Die ursprüngliche Aufgabe, die Steine „zu platzieren und Wasser darüberlaufen zu lassen“, ist dem Künstler dann doch zu wenig Herausforderung. Um die Steine aber zu bearbeiten, hat er zu viel Respekt vor ihrem Alter. In der Auseinandersetzung mit der Geschichte rund um Liefering gelangt er schließlich zum Thema „Weg“ (auf Lateinisch „via“): Da gibt es den Ansatz, dass Liefering durch die Autobahn getrennt und durch den Tunnel geeint wurde. Ein weiterer Aspekt ergibt sich aus der Geschichte: An dem Ort Liefering war eine römische Siedlung an dem historischen Römerweg zwischen Juvavum und Augsburg. Und schließlich kann man mit „via“ auch sprachlich spielen: „in via“ bedeutet „auf dem Weg“ – ein neuer Weg, über den man nach Liefering gelangt. Hartwig lässt aber auch die Geschichte der Steine in seine Arbeit mit einfließen: Es dauerte lange Zeit, bis die Steine entdeckt und an das Tageslicht gehoben wurden. Zuerst noch fast eins mit der Erde, erheben sich die Steine immer mehr, treten hervor, bis sie schließlich frei für jeden sichtbar stehen – in der unruhigen, rhythmischen Bewegung des Wassers. Das Wasser, als Symbol für Zeit und Bewegung, wirkt dabei als dynamisches Element: Es scheint die Steine zu heben.
Die Steine stehen auf Edelstahlrohren. Diese werden so von einem Düsenkranz umspielt, dass es aussieht, als würden die Steine vom Wasser getragen. Besonders eindrucksvoll wirkt das Wasserschauspiel in der Nacht, wenn das hochspritzende Wasser über eine Glasfaserlichtleitung direkt eingeleuchtet und die Wahrnehmung von Bewegung dadurch noch gesteigert wird. Der Künstler spielt hier erneut mit dem Spannungsverhältnis von Masse und Leichtigkeit.
Hartwig ist es wichtig, einen Brunnen zu gestalten, den man benutzen kann – nichts „Abgehobenes“, sondern etwas „Volksnahes“. Nichts, was fernhält (etwa durch einen hohen Brunnenrand), sondern vielmehr einlädt, zum Beispiel um darin herumzuplanschen. Dieses Anliegen hält er auch im Winter aufrecht, indem der Brunnen nicht hinter einem Bretterverschlag verschwindet, sondern auch in der kalten Jahreszeit als Skulptur im Wechselspiel zwischen grazilen Edelstahlsäulen und grob zugehauener steinerner Masse fungiert.
Zusätzlich zu dem Brunnenprojekt wurde Hartwig Mülleitner gebeten, sukzessive die gesamte Platzgestaltung zu übernehmen: von der Pflasterung des Dorfplatzes über die „Kommunikationsecke“ und die behindertengerechte Bankgestaltung, für die er, wie beim Brunnenbau, die übrig gebliebenen Römersteine verwendete. Auch in diesen Details erschließt sich dem Betrachter das Prinzip des Teilens und Zusammenfügen.
3. Internationales Skulpturenprojekt | Zerbst/Sachsen Anhalt 1994
Kurz nach der Wende lud die Stadtgemeinde Zerbst in Ostdeutschland internationale Bildhauer zur Gestaltung verschiedener Plätze ein, um Kultur und Tourismus zu beleben – Hartwig Mülleitner war einer von ihnen. Sachsen-Anhalt hat eine sehr lange Geschichte, die von der Jungsteinzeit über die Kelten- und Bronzezeit bis zu den Germanen reicht. Auch Zerbst ist ein geschichtsträchtiges Städtchen. Bekannt wurde es vor einigen Jahren durch den Aufsehen erregenden Fund der Himmelsscheibe von Nebra (1600 v.Chr.). Auch Zarin Katharina trug zur Geschichte von Sachsen-Anhalt bei. Sie ist im Zerbster Schloss aufgewachsen. Für diesen Schlossgarten sollte der Salzburger Künstler eine Skulptur realisieren.
Hier konzipiert Mülleitner nicht nach Skizzen eine Skulptur, sondern fühlt und erforscht die Umgebung, lässt sich von der spürbaren Historie des Ortes tragen und setzt dies in einer stark archaischen Formsprache um. Der Künstler nimmt bei seiner Arbeit die vorhandenen Raumachsen des Standortes auf und macht sie durch seine Gestaltung sichtbar. Er wird dabei dem Gefühl, der „Mystik“ des Platzes gerecht. Die Anlehnung an Hünengräber ergibt sich in der Auseinandersetzung mit dem Ort. Er fühlt, was richtig ist und hierher gehört, ein Spüren, von dem Hartwig sich bei seinen Arbeiten zunehmend lenken lässt. Er reagiert darauf, muss sich (und anderen) aber nichts erklären. Vielleicht wählt er auch deswegen bewusst keinen Titel für diese Arbeit aus.
Technische Hochschule | Brünn/Tschechien 1998
Die Technische Hochschule in Brünn, Fachzweig Kommunikation, hatte den Salzburger Bildhauer damit beauftragt, für den Innenhof des Gebäudes eine Skulptur zu gestalten. Von dem in zwei Teile gespaltenen Sandstein verarbeitete Hartwig einen Steinteil zu einer Scheibe in Radform – das Rad als eine der ersten Innovationen der Technik: Analogien zu Postkutschen, Fahrrädern und Zügen drängen sich auf. Der andere Teil wird zur quadratischen Radnabe. Die Nabe ohne Rad erinnert in ihrer Form an einen überdimensionalen Computerchip. An je einer Stelle hinterließ der Künstler Aussparungen in beiden Steinen. Aktiv wird die Skulptur durch das Zusammenfügen von Rad und chipförmiger Radnabe. Nicht nur symbolisch steht das Rad für Bewegung und der Computerchip für Zukunft und Schnelligkeit. Auch formal wirken die Dramaturgie der Schräglage und der Gegensatz zwischen rund und eckig dynamisch. Die Skulptur spielt mit der Wechselwirkung: Rad und Nabe brauchen einander, um etwas bewegen zu können, denn erst durch die Verbindung von beiden ist Fortschritt möglich. Miteinander in Beziehung gesetzt, stellen sie ein Sinnbild für Kommunikation dar.
Botanischer Garten | Linz/Österreich 1997
Die „Symbiosophie“ steht für die „Weisheit des Zusammenlebens“, eine Weisheit, die im menschlichen Miteinander und auch im Umgang mit der Natur bisweilen in Vergessenheit zu geraten scheint.
„Symbiose“ bezeichnet pragmatisch das Zusammenleben verschiedener Arten zum gegenseitigen Vorteil, wobei diese durch ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis ihre Autonomie verlieren. – Der Botanische Garten in Linz ist zweifellos ein Ort der Natur und ist doch keine reine Natur mehr. Vom Menschen geplant und gestaltet, gefügt und gezähmt, hat sie ihre Ursprünglichkeit verloren und dient als Kulturland zum Naturschauen.
Diese Thematik nimmt Hartwig Mülleitner mit seiner Skulptur „Symbiose“ für die oberösterreichische Gartenanlage auf. Seine Arbeit zeigt, wie subtil und waghalsig das Verhältnis von Menschheit und Natur ist. Dabei wird deutlich, wie leicht das Gleichgewicht aus den Fugen geraten kann. Uns Menschen fällt es leicht, die Natur unterzuordnen, ohne zu realisieren, dass wir nur ein Teil derselben sind. Manchmal, so scheint es, wenn wir zu unbedacht werden, schleudert uns die Natur ihre elementaren Kräfte entgegen, wie um uns daran zu erinnern, dass wir im direkten Kräftevergleich immer den Kürzeren ziehen.
Der Künstler versteht Symbiose als Gleichgewicht zwischen Selbstständigkeit und Gegenseitigkeit. Naturerkenntnis wird so zur Selbsterkenntnis. Wer die Natur versteht, erhält auch Einblick in die Natur des Menschen.
„Symbiose“ gehört zu den seltenen Werkstücken Mülleitners, das nicht vor Ort entstanden ist, sondern nach intensiver Verinnerlichung des künftigen Standortes an einem anderen Platz realisiert wurde. Der Bildhauer führte die Arbeiten mit Untersberger „Marmor“ direkt am Geburtsort des Steines, dem Steinbruch am Untersberg, aus.
Skulpturenpark Forma Viva | Portoroz/Slowenien 1993
Im Jahr nach Ende des Jugoslawienkrieges wurde Hartwig Mülleitner nach Slowenien eingeladen, um in Portoroz (in einem der vier Skulpturenparks in Slowenien) eine Skulptur zu realisieren, die sich mit der Thematik Krieg befasst. Er setzte sich intensiv mit dem auseinander, was dort in den vergangenen Jahren passiert war und was ihn spürbar umgab, um dies wiederum in die Geschichte seiner Skulptur einfließen zu lassen. Der Krieg hatte etwas geteilt, was früher ein Ganzes war, er setzte sich deswegen mit der Frage auseinander, in welcher Beziehung das „Geteilte“ zueinander steht. Die Halbinsel, auf der sich der Skulpturenpark befindet, ist dort, wo das Wasser auf den Himmel trifft, von einem knallharten, geradlinigen Horizont umgeben. Die Vertikale dazu bilden die endlos anmutenden Pinien, die sich hoch in den Himmel strecken. Das Kreuz sieht Hartwig Mülleitner weniger als Symbol. Vielmehr macht er damit Raumachsen sichtbar, er verwendet es als einfachste Form, um die Horizontale mit der Vertikalen zu verbinden.
Das Arbeitsprinzip ist sein bewährtes: den Stein zu teilen und wieder so in Beziehung zu setzen, dass die Teile miteinander korrespondieren. An den eingeschnittenen Passformen kann man erkennen, wie die Steine wieder neu zusammengestellt werden. Allerdings hat der Bildhauer die einzelnen Steine bewusst nicht ineinander, sondern dicht nebeneinander, aber doch deutlich voneinander getrennt positioniert.
So wie Krieg und Frieden häufig nah beieinander liegen, ist es auch mit Zerstörung und Wiederaufbau. Oft weiß man in diesem Land gar nicht genau: Ist etwas kaputt oder werden die Teile repariert oder gerade neu geordnet? Manchmal scheint es notwendig zu sein, etwas zu zerstören, um Platz für Neues zu schaffen.
Für den Künstler ist es aber nicht unbedingt wichtig, dass der Betrachter sein gedankliches Konzept immer genau nachvollziehen kann. Viel wesentlicher ist für ihn, was der „Benützer“ erfährt und spürt. Hartwig Mülleitner: „Und wenn einer nur von der Komposition und der Masse beeindruckt ist und sich gar keine Gedanken macht, ist mir das auch recht. Und wenn ein anderer es als harmonischen Ort empfindet und darauf sein Frühstücksbrot isst, dann ist auch schon etwas passiert. Ich möchte Skulpturen machen, die ‚genützt‘ werden – in jeglicher Form einer Auseinandersetzung.“
Stadtpark | Maalot-Tarshiha/Israel 1996
Auch hier hatte Hartwig Mülleitner ein Konzept eingereicht – um dann dort, von der Umgebung inspiriert, etwas völlig anderes zu realisieren. Den Bildhauer faszinierte die Stadt Maalot-Tarshiha von Beginn an. In vielen Städten Israels sind moslemische Viertel und israelische Stadtteile durch Mauern, Stacheldraht und Glasscherben voneinander getrennt. Nicht so in Maalot-Tarshiha. Das Fehlen von Mauern und das friedliche Miteinander der unterschiedlichen Religionen inspirierten Hartwig. Natürli ch gab es auch hier Stadtteile, in denen mehr Araber leben, Viertel, in denen hauptsächlich Juden, und solche, in denen Christen zuhause sind – aber spürbar war eine friedliche Koexistenz dreier Religionen.
Aus diesem positiven Gefühl heraus hat er durch Teilen eines Steines eine Skulptur geschaffen, bei der die Neukombination so gewählt ist, dass kein Stein ohne den anderen bestehen kann. Nach außen wirkt die Gestaltung zwar wie ein loses Gefüge, doch ist jeder einzelne Stein vom „Nachbarstein“ abhängig wie ein Organismus, in dem jedes Glied ohne die anderen nicht existieren kann. Jeder Teilstein hat seine eigene Bestimmung. Jeder Stein bedingt den anderen. Würde auch nur ein Stein aus der Skulptur entfernt werden, würde der Organismus zusammenbrechen. Eine skulpturale Lösung des Israelkonfliktes?
Für dieses Werk wurde der Künstler mit dem „Preis für Skulptur“ des Landes Israel ausgezeichnet.
Parque Samiento | Cordoba/Argentinien 1993
Himmel, Horizont und Ebene, diese drei Elemente dominieren das Land. Unendliche Weite: flach, staubtrocken und karg. – Die klar strukturierte Landschaft fordert ein reduziertes Arbeiten ein.
Hartwig entscheidet sich für die geometrische Form eines Kubus, mit den Maßen 1 x 1 x 1 Meter. Er spaltet ihn in drei Teilsteine, die in Neukombination ein Tor ergeben würden – würden deswegen, weil er die Teile nach dem Aufeinanderzuarbeiten wider Erwarten nicht als Tor, sondern erneut in der Ausgangsform, dem Kubus, vereint. Er fügt die Steinteile bewusst auf Abstand aneinander und setzt sie so in Beziehung, dass spürbar die Einheit der Urform erkennbar bleibt. Was zusammengehört, ist sichtbar durch einen Spalt getrennt.
Die auffällige Form setzt einen unübersehbaren „landmark“ in der flachen Ebene. Der Betrachter muss die Skulptur umrunden, um die einzelnen Teile in Gedanken zu einem Tor zusammensetzen zu können. Es gibt keine Bauanleitung Das „Im-Kopf-Tor“ öffnet nur demjenigen seine Pforten, der sich der Fantasie hingibt und es dann geradewegs imaginär durchschreitet, um seines Weges gehen zu können.
Skulpturenpark Assuan | Ägypten 1993
Ägypten ist eine der ältesten Hochkulturen mit einem unvorstellbaren Gut an erhaltenen Kunstschätzen. Die Geburt der Steinbildhauerei könnte man in diesen alten Hochkulturen suchen, denn hier hat die Auseinandersetzung mit der Skulptur ihren Anfang. Nach Ägypten, an den Ursprung zu reisen, um etwas von der eigenen Kultur dorthin zurückzubringen, ist für den Salzburger Künstler ein schöner Gedankenansatz.
Hartwig Mülleitner bleibt auch in Assuan seinem bewährten Prinzip treu und überzeugt die Auftraggeber davon, dass die Qualität darin besteht, sich Zeit zu nehmen, um Umgebung und Ort erst zu spüren und zu erkunden, ehe man sich mit der Konzeption der Arbeit befasst. Zuerst besichtigte er den Skulpturenpark, in dem es einen riesengroßen Granithügel gibt. Jeder Künstler will sich am liebsten mit einer hochstehenden Skulptur auf dem Gipfel verewigen, nicht so Mülleitner. Er spielt mit dem Prinzip des Entdeckens und wählt für seine Skulptur ein kleines verstecktes Tal am Fuße des Hügels aus, das zum Nil hin abfällt.
Hartwig hat sich, in Respekt vor der alten Kultur, mit der Thematik des unvollendeten Obelisken auseinandergesetzt. Diesen hat er in der ihm eigenen Handschrift realisiert – also einen Stein geteilt, um ihn in anderer Weise wieder zusammenzusetzen. Stein zu brechen bekommt im Zusammenhang mit dem unvollendeten Obelisken eine besondere Bedeutung. Erkennbar ist die spielerische Anlehnung an die unendliche Säule von „Brancusi“, die auch von der Unendlichkeit und der Verbindung zwischen Erde und Himmel von Obelisken inspiriert wurde. Die Vorgangsweise – die Lösung einer räumlichen Situation durch Distanz – wurde hier ähnlich wie in Slowenien realisiert. Der Bildhauer setzte auch hier bewusst etwas nicht zusammen. Das Spiel, das er mit dem Betrachter spielt, ist ein ähnliches: Er arbeitete mit ortsvertrauten Bildern, wie denen zerstörter alter Tempel. Hier wie dort stellt sich die Frage: Sind die herumliegenden Steine Teil der Inszenierung? Sind sie heruntergefallen oder werden sie irgendwann noch eingefügt, wo sie jetzt zu fehlen scheinen? Weiters hat der Künstler hier mit drei Raumachsen gearbeitet. Eine ist die Senkrechte, die durch das Aufeinandersetzen der Steine entsteht. Durch die Distanz zu dem Obeliskenteil, der als Kontraposition dazugesetzt wird, entsteht automatisch die zweite Raumachse. Das Spannende dabei ist, dass der Betrachter, der zwischen diesen beiden Achsen durchspaziert, unbewusst die dritte Raumachse beschreibt, die Skulptur dadurch aktiv erleben kann und zum Teil des Ganzen, des Kunstwerkes wird. Die Skulptur ist so nicht mehr nur etwas, das man unbeteiligt anschaut, sondern etwas, in dem man sich bewegen kann. Damit öffnet Mülleitner nicht nur räumlich etwas, sondern steigert vor allem den Erlebniswert.
Bildhauerschule | Hallein/Österreich 1996
Die Bogenteile entstanden zum 250-Jahr-Jubiläum der Bildhauerschule in Hallein. Vor eben diesem Vierteljahrtausend gründete Kaiserin Maria Theresia drei Schulen – in Hallstadt, Hall in Tirol und in Hallein –, um alternden Grubenarbeitern ein zweites berufliches Standbein zu ermöglichen. Hartwig Mülleitner wurde als ehemaliger Schüler und Bildhauer zu diesem Jubiläum eingeladen und setzte sich künstlerisch mit dem Thema „Zeit“ auseinander. Wobei die thematische Überlegung ohnehin Prinzip ist. „Mit Stein zu arbeiten bedeutet immer ein Arbeiten mit der Zeit, ein Sich-Einlassen auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“, ist Mülleitner überzeugt.
Eng an dieser Symbolik bleibend, hat er mit seiner Arbeit einen steinernen „Zeitbogen“ gespannt. Hartwig teilt den Stein, den er sich für diese Arbeit ausgesucht hat, in drei Einzelteile. Durch die Aufstellung, bei der die Teilsteine bewusst nicht zusammengesetzt werden, bleiben für den Betrachter viele Interpretationsmöglichkeiten offen, weil er die Gesamtheit nur erahnen kann. Dabei spielt der Künstler mit der Frage: „Wie weit kann man den Bogen spannen, die Teilsteine auseinanderrücken, ohne dass dabei die skulpturale Einheit verloren geht?“
Skulpturenweg Rheinland Pfalz | Nittel/Deutschland 2001
Einige Monate, bevor Hartwig Mülleitner im Sommer 2001 mit seiner Arbeit für den geplanten Skulpturenweg in Rheinland-Pfalz beginnt, nützt er die Möglichkeit, alle zur Auswahl stehenden Plätze zu besichtigen. Die meisten seiner Kollegen entscheiden sich für Standorte, an denen viele Menschen vorbeispazieren, etwa direkt an der Mosel – der Salzburger Künstler entscheidet sich nach langen Streifzügen durch die Landschaft bewusst für eine sehr schwach frequentierte Lage, aber mitten in den Weinbergen.
Der wunderschöne Platz, der später Teil seiner Skulptur sein sollte, war auf den ersten Blick eine nutzlose Brachfläche in Hanglage, entstanden durch den Weg, der sich dort gabelt; zu klein, um Reben anzubauen – groß genug, um bedeutend zu sein. Der Künstler ließ eine Hälfte der vorhandenen Fläche abgraben, die zweite wurde zu einem Plateau aufgeschüttet. Was die Faszination für ihn ausmachte, war der „Wahnsinnsblick“ auf Mosel und „Flussknie“: Eine kleine Ortschaft in der Biegung des Flusses, die von den Weinbergen aus zu sehen war, schaute aus, als würde sie den Fluss biegen. Von der Aussicht inspiriert, spiegelt Hartwig in seiner Skulptur Thematik und Form – und zwar genau gegenüber in den Weinbergen. Durch die Skulptur und durch die Nutzung als Aussichtspunkt hat er den Platz erst sichtbar gemacht. Er möchte an diesem starken Ort zum Verweilen einladen, zum Schauen und Empfinden, und gibt mit seinem Kunstwerk an den Betrachter weiter, was er selbst gesehen und empfunden hat, als er diesen Platz das erste Mal betrat.
Juzi Paradise Skulpturenpark | Guilin/China 2000
Um eine kulturelle Lücke im heutigen China zu schließen, wurde der internationale Skulpturenpark ins Leben gerufen. Finanziert wird das Ganze von einem ausgewanderten Chinesen, Mr. Rhy-Chang Tsao, der nach Korea gegangen ist und dort Karriere gemacht hat.
Chinareisende sind primär Kulturreisende. Sie schauen sich die Goldene Stadt an, die Chinesische Mauer und die Tönerne Armee. Aber während der Kulturrevolution wurde fast das gesamte kulturelle Leben in China zerstört. Es wurden sogar die Verzierungen von den Häusern heruntergerissen, Bücher verbrannt, kritische Lehrer verhaftet und gefoltert – deswegen gibt es kaum noch Kulturgüter in China. Aber etwas wirklich Großartiges konnte auch die Kulturrevolution nicht auslöschen: die Landschaft von Guilin. Dieses Gebiet ist nicht bloß Landschaft, sondern vielmehr ein Naturereignis: Es überwältigt dich, du saugst es ein und vergisst es nie wieder.
Man kennt das Szenario von alten chinesischen Holzschnitten und Aquarellen, auf denen sich grünlich-bläuliche Berge vor- und hintereinander schieben, aus der Ebene herauswachsen und wieder abfallen. In Guilin ist die Luftfeuchtigkeit sehr hoch, dadurch schimmern die Berge in den unglaublichsten Blau- und Grünschattierungen.
Dieses Naturschauspiel hat Hartwig Mülleitner in China in seine Arbeit aufgenommen. Die Skulptur „Balance“ spiegelt einerseits die fantastische Landschaft wider, andererseits ist sie aber auch eine Spiegelung der Lebenssituation, die ihn umgibt: Natur und Mensch arbeiten Hand in Hand. Der Bauer greift nicht gewaltsam in das von der Natur Gegebene ein, sondern nimmt an, was die Natur ihm bietet. So können Mensch und Land in Symbiose leben, halten sich die Waage, haben einen gehbaren Weg des Gebens und des Nehmens gefunden – halten die Balance.
Die Granitskulptur besteht aus drei quaderförmigen Traversen und drei Kugeln. Sie wiegt 140 Tonnen. Jede Traverse befindet sich sowohl einmal unterhalb als auch einmal oberhalb einer Kugel. Wenn man innerhalb der Skulptur steht, hat man das Gefühl, dass sie den Boden nur an drei Punkten berührt, weil die Kanten, auf denen sie steht, dem Betrachter zugewandt sind. Der Künstler beschreibt das unglaubliche Gefühl, wenn man in der Skulptur steht: „Durch die Schräglage der elf Meter langen Traversen hast du als ‚Benützer‘ das Gefühl, dass die ganze Skulptur zu schweben anfängt und beginnt, sich scheinbar langsam um dich zu drehen. Du hast ein ganz eigenartiges Gefühl im Bauchbereich. Der Granit glitzert im Sonnenlicht. Einerseits spürst du das Gewicht der Masse, andererseits fühlst du dich schwerelos enthoben. Es berührt dich, du empfindest die um dich vermeintlich schwebende Masse am ganzen Körper. Aber es ist kein beklemmendes Gefühl, sondern ein wohliges, da die Skulptur groß ist und der Himmel über dir frei und blau.“
Für den Betrachter ist die Skulptur wunderlich, dies beginnt schon mit der Frage: „Wo hat der Künstler angefangen, dieses mächtige Gefüge zusammenzusetzen?“ Mülleitner spielt mit dem Gefühl der Unmöglichkeit, dies resultiert aus seiner Empfindung: „Es ist genau dieser Eindruck der Unwirklichkeit, wie in einem Traum, wenn du vor diesen Bergen stehst. Hier im Tal würdest du dich keine Sekunde wundern, wenn da plötzlich ein Saurier von links käme …“
Kunstfeld | Hetzmannsdorf/Österreich 2003
Die weiche Hügellandschaft im niederösterreichischen Weinviertel mit ihren perfekt gezeichneten Zirkeln ist eine wunderschöne Kulisse für ein bildhauerisches Landschaftsprojekt. Gesamtkonzept und Organisation für das Projekt „Kunstfeld Hetzmannsdorf“ übernimmt der in Wien lebende Künstler Peter Paszkiewicz. Hartwig Mülleitner wird 2003 zusammen mit drei weiteren Bildhauern dazu eingeladen, eine der zwölf geplanten Steinstelen zu entwerfen und zu realisieren. Das internationale Skulpturenprojekt ist auf insgesamt drei Jahre (2003–2005) und drei Jahreskampagnen angelegt, zu der Kunstschaffende aus Deutschland, Österreich, der Tschechischen Republik, Norwegen und China eingeladen werden.
Die fast fünf Meter hohen Blöcke markieren deutlich die Wellenbewegung der Landschaft. Das Feld, das den Künstlern zur Verfügung steht, ist typisch für das Landschaftsbild des Weinviertels und kann von der Bundesstraße gut eingesehen werden. Die charakteristische, durch die Feldbewirtschaftung schraffierte Landschaft bildet die Basis zu den individuellen bildhauerischen Überwlegungen.
Die mit jeweils anderen Feldfrüchten bebauten, das Kunstfeld begleitenden Äcker bilden parallel laufende Horizonte und verstärken wie Zeilen die gerichtete Ordnung der Landschaft. Die Stelen machen diese Ordnung bewusst, verstärken ihrerseits durch den konstruktiven Dualismus zwischen horizontaler Bewegung der Landschaft und vertikaler Statik der Stelenreihe die Wahrnehmung einer Sinnhaftigkeit, die beides, Feld und Kunst, zu einem durch die Jahreszeiten sich ständig verändernden Zustand führt.
(Auszug aus dem Konzept „Kunstfeld Hetzmannsdorf“ von Peter Paszkiewicz)
Hartwigs Anteil an dem Projekt ist eine Stele, der er den Titel „Richtungswechsel“ gibt. Er platziert sein Kunstobjekt längs zur Ackerfurche. Die gerade laufende Ackerlinie wird in der Skulptur aufgenommen, bewegt sich an der Vorderseite der Stele hinauf, wird im oberen Teil „lebendig“, wechselt die Richtung und hüpft von einer Seite zur nächsten. Unten wieder angekommen, verlässt sie die Skulptur quer zu den Ackerfurchen.
Der Künstler wollte mit seiner Skulptur etwas „Gegenläufiges“ entwerfen, ein Symbol gegen das Mitläuferwesen. Seine Stele ist in diesem Sinn der Versuch etwas zu „verrücken“. Gesehen werden muss diese Grundidee vor dem (kultur-)politischen Hintergrund des Projektes, das nicht nur einiges an Aufmerksamkeit erregte, sondern diverse politische Grabenkämpfe ins Rollen brachte, die an dem ideellen Ziel, Kunst und Kultur zusammenzubringen, weit vorbeischossen. Die Künstler fühlten sich schon bald für politische Propaganda und persönliche Zwecke missbraucht und um ihr vertraglich zugesichertes Urheberrecht betrogen.
Die Kunst und die einzelnen Arbeiten der Künstler sind schon längst in den Hintergrund gerückt, die Botschaften, die in Zusammenhang mit dem Projekt wiedergegeben werden, gleichen zunehmend denen einer Bierzeltwahlveranstaltung. Immer wieder hat Hartwig erlebt, dass Kunst von Politikern für ihre ganz persönlichen Zwecke benutzt wurde und so Qualität und die eigentliche Bedeutung der Kunstobjekte in Banalitäten verloren gingen.
Meer von Marma | Istanbul/Türkei 2004
Entlang der Hotelpromenade, in Büyükcekmece, einem Stadtteil von Istanbul, der als Erholungsgebiet gilt, entsteht seit 2002 ein Skulpturenprojekt direkt am Meer von Marma. Im Sommer 2004 sind erneut internationale Künstler eingeladen, die Skulpturenpromenade mit ihren Werken zu erweitern. Und weil nicht nur viele der ausländischen Touristen, die in die Türkei kommen, sondern auch erholungssuchende Türken selbst Animation lieben, entstehen die Skulpturen – alle aus Marmor gefertigt – mit Eventcharakter direkt an Ort und Stelle. Dadurch wird die Verbundenheit von Skulptur und Umfeld besonders spürbar, was Hartwig Mülleitner und seiner Art zu arbeiten sehr entgegenkommt.
Die Idee, „ins Innere des Steins zu gehen“, geht auf eine frühere Auseinandersetzung mit diesem Thema und auf eine bereits existierende konkrete Arbeit zurück: „In den Berg gehen“ lautete damals der Titel des Projektes, bei dem Hartwig die Umrisse seines Körpers mit Hammer und Spitzeisen in den Berg vortrieb. Die Arbeit entstand aus dem Empfinden, dass man, wenn man im Steinbruch steht, eigentlich inmitten des Berges steht.
Diesen Gedankengang greift Mülleitner in Istanbul erneut auf, überträgt ihn aber auf das Meer und den 250 x 250 x 50 cm großen Steinblock, der ihm zur Verfügung steht: So nahe liegend für ihn das Verlangen ist, in das Wasser, das ihn umgibt, einzutauchen, so sehr regt sich in ihm auch die Lust, in den Stein, in die Masse des Steins „einzutauchen“.
Dem nahezu quadratischen Marmorblock möchte der Bildhauer ein zweites Quadrat entnehmen. Die auf den Rohblock skizzierte Form wird mit dem Pressluftbohrer Loch für Loch herausgebohrt, bis das Innere vom Äußeren befreit ist. Über zwei Wochen lang setzt Hartwig ein Loch neben das andere. Die Arbeit erfordert extremen Krafteinsatz. Diese Kraft wird über Wochen vom Stein absorbiert und erst bei den letzten Löchern, kurz bevor sich der Kern von seiner äußeren Schale trennt, mit einer dumpfen Erschütterung explosionsartig freigesetzt.
Auch wenn sich das innere Quadrat vorerst nur um 10 cm gesenkt hat, lässt sich bereits erahnen, wie sich der Hohlraum anfühlt, wie es im Inneren des Steines aussieht.
Durch die im Endeffekt gewählte Neukombination der beiden Teilstücke wird es dem „Benutzer“ ermöglicht, nicht nur optisch, sondern real in den Stein „einzutauchen“, ihn zu betreten, im Inneren des Steines die Kraft des Materials zu spüren.
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Steinbruch Untersberg | Salzburg/Österreich 1999
Sechs Jahre lang organisiert und unterrichtet Hartwig Mülleitner als Assistent im Rahmen der Salzburger Sommerakademie Bildhauerklassen. Das prinzipielle Lehr- und Arbeitsprinzip, dass nicht der Frontalunterricht zum besten „Lernerfolg“ führt, sondern dass Schüler und Lehrer am meisten bei einem gemeinsamen Nebeneinander voneinander profitieren, kommt ihm entgegen: „Ich konnte Schülern immer am besten vermitteln, worum es mir geht, wenn ich es ihnen gleich am Material gezeigt habe“, erzählt der Bildhauer. So entsteht die Arbeit „Schwebende Steine“ im Sommer 1999 im Rahmen seiner Tätigkeit als künstlerischer Assistent – eine Arbeit „im Steinbruch, für den Steinbruch“, wie es Hartwig formuliert.
Bei dieser Arbeit kehrt sich Mülleitners gewohnte Arbeitsweise (ein Stein wird geteilt und wieder zusammengefügt) ins Gegenteil um: Im Steinbruch findet der Künstler drei einzelne Steinplatten, die rein vom Gefühl zusammenpassen. Wie sich später herausstellt, ergeben die drei Teile zusammengesetzt tatsächlich ein ursprüngliches Ganzes. Vorerst lässt Hartwig die Steine aber vom Steinbruch mit einem Radlader auf seinen Arbeitsplatz, das Plateau, transportieren. Er vereint die drei getrennten Teile wieder zu einem Stück, wobei er einen kleinen Abstand stehen lässt, der die Teilung sichtbar macht. Mit den verwendeten Eisenstangen, die er schräg und unregelmäßig wie die gewachsenen Stämme positioniert, nimmt er das rhythmische Spiel der umstehenden Bäume auf. Über diese Eisenstäbe werden die Steinplatten platziert. Auf diese Weise löst sich die tragende Einheit im Hintergrund auf. Augenfällig bleibt der helle Stein. Die Frage der Konstruktion ist für Hartwig Mülleitner aber zweitrangig. Ihn reizt besonders der Gegensatz von Masse und Leichtigkeit.
Die Skulptur ist – wie die meisten Arbeiten von Hartwig Mülleitner – nutzbar. Wer den Steg betritt, sollte allerdings schwindelfrei sein. 3,5 Meter geht es von der vordersten Stelle steil in den Wald hinunter. Wer sich bis ganz nach vorne traut, wird mit einem schwebenden Gefühl und Kribbeln im Bauch belohnt – die Steinplatten fangen an, sanft parallel zu schwingen. Wer nicht gegensteuert und sich darauf einlässt, kann sich auf diese Art und Weise durch die Natur tragen lassen. k
Kartenhaus | 1998
Der Bildhauer beschäftigt sich stetig mit der Problematik, wie man welche Thematik, welches Konzept in welches Material umsetzt.Irgendwann stellt sich die Sinnfrage: Warum überhaupt in die Natur eingreifen? Warum etwas in ein Material hineinarbeiten? Hartwig Mülleitner will Materialien in ihrem gegebenen Charakter respektieren und sie nicht bearbeiten, sondern mit ihnen arbeiten. Ihm stellte sich immer mehr die Frage, wie die Auseinandersetzung mit dem Material, über die reine Bearbeitung hinaus, noch aussehen könnte. Nach einer längeren schöpferischen Pause entwickelte er wieder das Bedürfnis, mit Stein zu arbeiten – aber nun, ohne ihn maßgeblich zu bearbeiten. Er möchte wenige notwendige, aber dafür klare und sehr starke Eingriffe am Material umsetzen. Teilweise gibt es natürliche Bruchstellen, Spuren vom Abbau im Steinbruch und solche der Bearbeitung – das ist alles Geschichte, die man am Stein ablesen kann. Es wäre schade, diese zu vernichten und nivellierend mit der Schleifmaschine zu verniedlichen. Der Künstler nimmt diese erzählenden Spuren bewusst wahr und setzt sie gestaltend ein. Der Frust über das Gefühl, das Material zu vergewaltigen, wandelt sich in die Lust, mit dem zu arbeiten, was bereits da ist. Spürbar ist nun in seiner Arbeit diese Freude am Material. Es macht ihm Spaß, sich mit dessen Charakter und einer Geschichte, die oft eine Millionen Jahre alte ist, zu beschäftigen.
Das Knüpfen hatte ursprünglich primär die Funktion des Haltens, des Zusammenfügens. Später (siehe Steinbilder) wird es zunehmend vom verbindenden, zum gestalterischen Element. Dafür wurden etwa schwarzafrikanische, graue österreichische und rote russische Granite miteinander arrangiert, Marmor und Granite, Bruchsteine aus dem Steinbruch und Bachsteine oder Fundholz mit Bruchstücken von Steinen. Es geht darum, Dinge, die eigentlich keinen Bezug haben oder aus fremden Regionen stammen, so miteinander zu verbinden, dass sie wieder eine Einheit, ein Ganzes ergeben. Besonders stark empfindet Mülleitner dabei das Spannungsverhältnis zwischen Auseinanderdriften und Zusammenhalt. Das Zusammenhalten von Dingen, die naturgemäß auseinander wollen. Diese Bindung schafft er, indem er sie nicht nur symbolisch, sondern im wahrsten Sinne des Wortes tatsächlich miteinander verbindet.
Die Schnur als haltendes und zusammenfügendes Material, als verbindendes Element wird rein funktional immer unwichtiger. Das Spiel und die Wechselwirkung von Dingen, die eigenständig sein wollen und doch auf fast irritierende Art und Weise verbunden sind, wird subtiler und abstrakter – gleichzeitig bleibt aber die Einheit, obwohl der Freiraum größer und der Blick stärker auf Linien und Fugen zwischen den Steinen gelenkt wird.
Das Zusammenhalten durch die Schnur konzentriert sich jetzt mehr auf Aspekte der Gestaltung – ist konsequenter, aber gleichzeitig reduzierter. Der Umgang mit dem Material wird freier und die Wirkung dadurch stärker. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Auseinandertendieren der Steine und dem Verbinden mit der Schnur wird immer mehr gesteigert. Wie weit kann man die Steine voneinander entfernen und das Spannungsverhältnis noch aufrechterhalten? Die Herausforderung dabei ist es, Gestaltungsmöglichkeiten zu finden, die eine Einheit spürbar machen, ohne dass die Materialien miteinander in direktem Kontakt stehen. Auf diese Art und Weise entsteht eine Allegorie auf das Spannungsverhältnis zwischen Harmonie und Distanz im menschlichen Miteinander.
Marmor: lieblich weich
Granit: kräftig hart
Pflanzen: blühende Vergänglichkeit
Jedes Material hat seine eigene Geschichte, seine eigene Aura und vermittelt auch etwas anderes. Wenn man sich auf Materialien einlässt und sensibel dafür ist, wird es besonders reizvoll, mit ihnen und ihren Eigenheiten zu arbeiten. So wie bei den Steinbildern die Symbiose von Stein (= Urgeschichte) und Hanfseil (= Vergänglichkeit) den besonderen Charme ausmacht. Es gibt deswegen auch kein „falsches“ Material, sondern nur den falschen Umgang mit ihm. Die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, sind: Was will ich? Welches Material ist dafür das richtige? Wie muss ich damit arbeiten, damit das Werk stimmig wird und ich ihm nicht meine starren Vorstellungen aufzwinge?