Jahresring
Forstschule Banska Stiavnica / Slowakei 1993
Eiche / 260x260x320cm
Die Forstfachschule der alten slowakischen Stadt hatte Hartwig Mülleitner beauftragt, für die Aula eine Skulptur zu schaffen. Zu diesem Zweck wurde ihm ein mehrere Jahrhunderte alter Eichenstamm zur Verfügung gestellt. Den Baumstumpf verwandelte er in einen riesengroßen Jahresring, das Mittelstück wurde dafür in neun Stücke zersägt und in Kreisform wieder zusammengesetzt. Die naturbelassene „junge“ Baumspitze positionierte er lose im Inneren des Baumes. Dieses Arrangement sollte einerseits den Kreislauf der Zeit symbolisieren, andererseits durch die Umkehr das Augenmerk auf das Alter des Baumes lenken.
In dieser Arbeit ist viel von dem Respekt vor diesem unfassbar alten Baum zu spüren, aber auch von einer entspannten Einstellung zu Vergänglichkeit und Naturgewolltheit. Der Ring steht dabei als elementares Zeichen für Ganzheit, Einheit und Wiederkehr.
Deich | Hojer/Dänemark 1996
In Dänemark realisierte Hartwig Mülleitner eine Skulptur am Deich. Das Meer und seine Gezeiten führten zur Auseinandersetzung mit dem Zeitgedanken an sich. Das Meer kommt und geht, um schließlich wiederzukommen. Dem Künstler wurde ein Eichenstamm als Arbeitsmaterial zur Verfügung gestellt. Auch der Baum ist sehr eng mit der Zeitthematik verbunden. Jedes Jahr bekommt er einen neuen Jahresring und bis die langsam wachsende Eiche diesen Umfang erreicht hat, sind mehrere hundert Jahre vergangen. Der Arbeitsplatz direkt am Deich mit Blick auf das Meer und die Gezeiten war schließlich die Basis für das ausgeführte Thema: Zeit. Aus dem Baumstamm wurden neun Ringe vom Kern freigelegt, indem er einige Jahresringe dazwischen herausschnitt. Einerseits verlor er dabei Jahresringe („lässt Zeit verschwinden“), andererseits lenkte er das Augenmerk auf die Jahresringe („macht Zeit sichtbar“). Die Baumringe wurden spielerisch angeordnet, wie vom Wasser bewegt oder angespült. Die Skulptur steht am Deich, wo die Zeit des Wassers auf die Zeit an Land trifft.
Budweis/Tschechien 1996
Der Park Stromovka ist ein Naherholungsgebiet mitten in der Stadt Budweis. Eingeladen wurde der österreichische Bildhauer ursprünglich, um für den dort integrierten Skulpturenpark eine Arbeit zu entwerfen. Vor Ort ergab sich aber ein kulturell-soziales Projekt, das den Künstler mehr reizte, als in einer gepflegten Parkanlage ein weiteres schönes Kunstobjekt zu installieren. Nahe einer der Trabantenstädte vor den Toren der Stadt, eingekeilt von zwei Schnellstraßen, lag ein Fleck Natur, mehr Acker als Kulturlandschaft, auf dem für die Bewohner der nahe gelegenen Hochhäuser ein Erholungsgebiet entstehen sollte. Hartwig Mülleitner war als einer von drei Künstlern damit beauftragt, diese Fläche zu gestalten. Mitten auf dem Gelände ließ er eine Grube von etwa zehn Meter Durchmesser ausheben, auf deren Grund Straßen und Hochhäuser aus dem Blickwinkel verschwinden. In der Mitte der Einbuchtung pflanzte er einen Baum, der in ferner Zukunft der Oase eine grüne „Käseglocke“ aufsetzen sollte. Um den Baum gruppierte Hartwig seine drei „Verweilskulpturen“, die zum Bleiben einladen, Entspannung und Kommunikation fördern, sei es alleine oder einander zugewandt. Die ringförmig gestaltete Form der Objekte drückt das Verbindende und die Gemeinschaft aus. Dafür wurden Baumstämme „gebogen“, wobei der Künstler den Stamm in neun gegengleich gestellte Kuchenstücke im Winkel von 40 Grad teilte und jedes zweite Stück um 180 Grad um die eigene Achse drehte. Der so entstandene Ring wurde in herkömmlicher Zimmermannsweise in Holzverbindungstechnik wieder miteinander verbunden
Pfarre St. Paul | Salzburg/Österreich 1996
Nachdem die Kirchengemeinde St. Paul die Gestaltung des Hauptkirchenschiffs nach einer öffentlichen Ausschreibung an den Bildhauer Hubert Schmalix vergeben hatte, wurde Hartwig Mülleitner aufgrund seiner ebenfalls eingereichten Entwürfe mit der Gestaltung des Seitenschiffs beauftragt. Die räumliche Situation des länglichen Kirchenschiffs, das in eine halbrunde Altarnische (Apsis) mündet, bedingt eine klar geometrische reduzierte Altarform. Nachdem die „Wurzel Jesse“ (Stammbaum Christi) im thematischen Mittelpunkt der Neugestaltung liegen sollte, realisierte der Künstler seinen Entwurf symbolträchtig direkt aus Wurzelholz. Die Wurzel wurde auf die Form eines Zylinders von einem Meter Durchmesser zugeschnitten, die Wurzelreste, die über den Zylinderrand hinausschauten, wurden entfernt. In den Altar eingelassen und mit einer Glasplatte abgedeckt, wirkt ein dunkelgrüner Bachstein in Form eines Brotlaibs durch die vier ausgeschnittenen Ecken gleichzeitig wie ein Kreuz.
Dorfbirke | Haidmühle/ Deutschland 1993
Den „Baumring“ als „Baumschmuck“ entwarf Hartwig Mülleitner erstmals für die Ortschaft Haidmühle im Jahr 1993 im Rahmen des Symposiums „Grenzgänger – zusammenwachsen“. Der Ring steht als Symbol für Gemeinschaft, Freundschaft und Ganzheit, aber auch im „natürlichen“ Sinn für Zeit und Wachstum. Der aus Fichtenholz gefertigte Baumschmuck umfasst als externer Jahresring einen zarten Birkenstamm. Die klare Art der Darstellung spielt mit Gegensätzen: Der Ring, als offensichtlicher und auffälliger „Fremdkörper“, schmiegt sich harmonisch an und fügt sich symbiotisch in das natürlich Gewachsene ein.
3. Internationales Skulpturenprojekt | Schwarzenberg/Österreich 1992
Direkt an der Grenze zu Deutschland, nahe zu Tschechien, war eine junge Künstlergruppe eingeladen. Wald, so weit das Auge reicht. Wälder, Wälder, Wälder – die ganze Landschaft ist vom Wald geprägt. In dieser Region verlaufen drei Grenzen, von denen sich die Natur nicht beeindrucken lässt – imaginäre Grenzen. Hüben wie drüben die gleichen Bäume, der gleiche Wald. Die Landschaft ist geprägt von der Holzwirtschaft, die Leute leben von der Natur und ihren Erträgen. In seiner üblichen Weise hat Hartwig Mülleitner sich zuerst lange Zeit mit Ort und Umgebung befasst und über das Thema Grenzen nachgedacht. So lange, bis schließlich kein Holz mehr für seine Arbeit vorhanden war. Anstatt noch mehr Holz zu ordern, verwendete er diesen Umstand in seinem Werk als Herausforderung. Im Respekt vor der Natur und ihren Materialressourcen arbeitete Hartwig nur mit Abfallholz. Seine Arbeit ist aus dem entstanden, was bei den anderen Skulpturen als Abfall übrig geblieben war.
Er hat das in dieser Region allgegenwärtige Bild des Holzstapels übernommen, hat die Scheite aber nicht herkömmlich gestapelt, sondern wider die Natur wie ein Bollwerk zur Verteidigung aufgestellt und in einer Ringform angeordnet. Der Ring steht dabei als Zeichen für Ganzheit. Die durchlaufende Linie aus gestapelten alten Holzbalken ist Symbol der Teilung und Spaltung eines perfekten Ganzen – wie Grenzen.
Vilshofen/ Deutschland 1997
Unter dem Motto „Kunst im öffentlichen Raum“ werden seit Anfang der 1990er Jahre Künstler nach Vilshofen eingeladen, um im Altstadtbereich Projekte zu verwirklichen, so auch 1997. Vilshofen, wie auch die Ortschaft Haidmühle, sind beides Waldgebiete nahe der deutsch-tschechisch-österreichischen Grenze, in denen die Menschen durch die allgegenwärtige lebensbegleitende Holzwirtschaft eine enge Bindung zum Material Holz haben. Vier Jahre nach Haidmühle schmückt Hartwig wieder Bäume mit Schmuckringen. Diesmal nähert er sich der Thematik aber auf humoristische Art und Weise. „Alles, was uns wichtig erscheint, wird mit diversem Schmuck hervorgehoben. Nur das, was uns wirklich wichtig ist, Lebensgrundlage bildet und unsere Landschaft prägt, wird durch die tägliche Gewöhnung unscheinbar und somit bei der Verteilung von Zierrat übersehen“, bemerkt der Künstler mit einem Augenzwinkern – mit seiner Installation versucht er diese Unvollständigkeit aufzuheben. 26 bunte Holzringe, ausladend auf mehrere Bäume einer Allee verteilt, begrüßen die Menschen, die in das niederbayerische Städtchen Vilshofen kommen, bereits bei der Ortseinfahrt und machen so auf Bäume und damit auf Holz als Lebenselixier aufmerksam.
Lenora/Tschechien 1994
Der Nationalpark Sumava erstreckt sich entlang der südwestlichen Grenze der Tschechischen Republik zu Deutschland und Öster-reich und ist der flächenmäßig größte tschechische Naturpark. Inmitten diese üppige Wildnis wird eine internationale Künstlergruppe eingeladen. Während Kollegen ihr Material auswählen, wartet der junge Künstler gelassen und nimmt sich bewusst viel Zeit, Ort, Landschaft und deren Besonderheiten kennen zu lernen. Aus Respekt vor den alten Bäumen, die als Sinnbild des Nationalparks gesehen werden können, gibt er sich mit dem nicht verwendeten „Abfall“ zufrieden: Er sammelt alle Äste ein, von denen die Stämme zuvor befreit wurden, und bringt sie mit einem LKW an seine Arbeitsstätte.
Das Prinzip des Zusammenfügens kommt auch bei dieser Arbeit zum Tragen. Allerdings führt er es hier bewusst ad absurdum, indem er ein „Ganzes“ aus lauter Einzelteilen zusammenfügt, die zuvor der Einheit entrissen wurden. Aus den dickeren einzelnen Ästen flicht er einen Ring, wobei er nur mit reinen Holzverbindungen arbeitet. Selbst die Dübel sind kleine Äste. Mit LKW- und menschlicher Muskelkraft wird das Objekt gemeinsam auf eine versteckte Lichtung getragen, auf die ein Spaziergänger nur dann zufällig stößt, wenn er vom gekennzeichneten Weg abweicht.
Schloßpark Plasy/Tschechien 2000
Als sich 1989 die Grenze zu Tschechien öffnete, tat sich eine kleine tschechische Künstlergruppe mit dem deutschen Bildhauer Hubert Huber und dem österreichischen Gründer des Büros für kulturelle Auslandsbeziehungen, Aldemar Schiffkorn, zusammen, um ein gemeinsames Künstlerevent zu organisieren. Bei dieser einen Aktion der „Grenzgänger“ sollte es nicht bleiben, es folgten noch viele weitere und bis heute findet ein intensiver Austausch zwischen den drei Ländern statt. Zehn Jahre nach der Grenzöffnung sollte dieses Jubiläum mit einem Skulpturenfest gefeiert werden – internationale Kunstschaffende waren eingeladen, aktiv daran teilzunehmen.
Spontan kommt Hartwig Mülleitner dem bereits lange gehegten Wunsch nach, einen Baumkreis nach keltischem Vorbild zu gestalten. Bei den Kelten spielten Bäume eine zentrale Rolle in ihrem sehr naturverbundenen Leben. So verehrten und würdigten sie an bestimmten Tagen und zu bestimmten Zeiträumen, die mit dem Mondrhythmus und den Jahreszeiten zusammenhingen, ihre Bäume. Hartwig pflanzt für jedes Jahr der Grenzgänge einen Baum. Jeder Baum steht aber auch für die verschiedenen Nationen und Künstler, für Leben, Veränderung, Wachstum, Zeit und Freiheit. Die Räume zwischen den Bäumen füllt er mit Sesseln. Nicht nur als Symbol, sondern auch als tatsächliche Möglichkeit zusammensitzen zu können, sich auszutauschen, zu reden und sich einzubringen.
Hartwig Mülleitner fertigt einen Stuhl und acht kleine Stuhlmodelle. Er überzeugt acht Künstler aus acht verschiedenen Ländern ihre individuell gestaltete Stühle für sein Kunstprojekt im Tausch gegen die Modellstühle herzustellen. Mülleitner platziert diese acht Stühle und seinen eigenen innerhalb des Baumkreise. Jeder Stuhl drückt die Individualität jeder Person aus, die ihren Platz im Gesamten findet. Einen Zwischenraum lässt er bewusst frei, damit die Möglichkeit bleibt, dass noch jemand dazukommen kann.
WFW Wolfegg/Deutschland 2001
Zur Gestaltung der „Zwischenräume“ seines „Übungsparcours für Forsterntemaschinen“ hatte der kunstinteressierte Firmenbesitzer Klaus Reichenbach aufgefordert. Die einzige Vorgabe für die eingeladenen Künstler Hubert Huber (D), Urs Twellmann (CH), Reynes Laurent (F) und Hartwig Müllleitner war, dass die Skulpturen mit Hilfe der Forsterntemaschine realisiert werden mussten. Der Salzburger suchte sich diesmal den höchsten Punkt für sein Werk aus, ein Sonnenrad – und zwar einen Hügel, der Teil des Parcours war. Das Sonnenrad symbolisiert von jeher einerseits die Wichtigkeit der Sonne für die Landwirtschaft und soll andererseits, etwa als Schmuck, seinem Träger Wohlstand und Überfluss sichern. Der gewählte Standort stellte nicht nur genau die Achse Produktionshaus – Privathaus, sondern auch die Achse Ost – West dar. Hartwig installierte das Rad so, dass dem „Chef“, wenn er in der Früh aus dem Fenster schaut, die aufgehende Sonne durch das Sonnenrad ins Gesicht scheint, und er, ehe er am Abend nach Hause kommt, den Sonnenuntergang durch den Holzreif genießen kann.
3. Internationales Skulpturenprojekt | Untergriesbach /Deutschland 1996
Aus dem 1. Bildhauersymposium, das sieben Jahre zuvor erstmals in Pilzen, Tschechien, stattfand, hatte sich inzwischen ein weltweit bekanntes und geschätztes Projekt entwickelt. Das „Grenzgänger“-Symposium 1996 fand im oberösterreichischen Untergriesbach statt.
Aus liegenden ausgeforsteten Jungbäumen gestaltete Hartwig Mülleitner einen Ring mit einem separat platzierten Segment. Das ausgesparte Teilstück baute er wenige Meter vom Ring entfernt wieder auf: diesmal aber als aufrecht stehende Holzscheite. Jeder einzelne Fichtenstamm wurde so zum Teil einer Einheit, zum Individuum eines Ganzen. Denn lag auch jeder für sich, war er doch klar dem Kreis zuordenbar. „Wie Brennholz einen Sommer lang in Form geschlichteter Stapel unsere Landschaft gestaltet, um uns einen Winter lang zu wärmen, sollte auch diese Skulptur wirksam sein.“
Als Aufstellungsort hatte der Künstler bewusst den Platz bei der Schule gewählt, weil dadurch gesichert war, dass der Prozess der Kreativität und Veränderung ein starker sein würde. Mülleitner macht es immer wieder Spaß, diesen Prozess zu inszenieren und zu provozieren. Ihm war von vornherein klar, dass seine Art der Aufstellung eine sehr temporäre sein würde, die spätestens mit Schulbeginn eine eigene Dynamik bekommen würde – so war eine der Schülerreaktionen auf die auf dem Boden liegenden Fichtenstämme: „Jö, riesengroße Mikadostaberl …“ Und schon begann das Spiel.
Griesbacher Grünleite | Bad Griesbach / Deutschland 2002
Ein Jahr lang wurde im Landkreis Passau nach folgendem Konzept Kunst erschaffen: Jeden Monat wurden ein deutscher und ein ausländischer Kunstschaffender im Passauer Umland auf einen Berggipfel gesetzt mit der Aufforderung, sich etwas einfallen zu lassen für ebendiesen Ort. Peter Bauer und Hartwig Mülleitner trafen sich Ende September, nur wenige Wochen nach den Anschlägen am 11. September 2001. Künstler haben das Glück, dass sie alle Eindrücke, auch die schlechten, bearbeiten und damit verarbeiten können. Daraus lassen sie häufig etwas völlig Neues entstehen, was ihre Gedanken und Gefühle widerspiegelt.
Peter Bauer entwarf zwei Türme aus Stein und Eisen, wobei die verwendeten Bruchsteine dazu dienten, den drohenden Zerfall voranzukündigen. Hartwig Mülleitners Modell war eine überdimensionale Kugel, die aus Holzscheiten gebaut wurde. Nachdem das Gelände leicht abschüssig war und die Kugel oberhalb der Türme platziert wurde, ist dem Betrachter die unmittelbare Bedrohung durch die Kugel schnell bewusst. Die Situation bekommt dadurch einen beabsichtigten „Bowlingkugel-Charakter“, der die Gewalt und Kraft einer ausgelösten Aggression vermittelt.
Gearbeitet wurde ausschließlich mit natürlichen Materialien. Die Steine (Granite) stammten aus dem nahe gelegenen Steinbruch, die Meterscheite bekamen durch das Zuschneiden ein ähnliches Profil wie die Bruchsteine. Obwohl die Steintürme weitaus massiver, größer und durch ihre Masse stärker wirken müssten, ist es die Kugel aus dem viel weicheren Material Holz, von der die Bedrohung ausgeht. Für die Künstler stehen die beiden Gebilde für die Weltmacht USA und ihre unterschätzten Gegner – was nicht zuletzt durch die Geschichte des Irakkrieges bestätigt wurde.