Meer von Marma | Istanbul/Türkei 2004
Entlang der Hotelpromenade, in Büyükcekmece, einem Stadtteil von Istanbul, der als Erholungsgebiet gilt, entsteht seit 2002 ein Skulpturenprojekt direkt am Meer von Marma. Im Sommer 2004 sind erneut internationale Künstler eingeladen, die Skulpturenpromenade mit ihren Werken zu erweitern. Und weil nicht nur viele der ausländischen Touristen, die in die Türkei kommen, sondern auch erholungssuchende Türken selbst Animation lieben, entstehen die Skulpturen – alle aus Marmor gefertigt – mit Eventcharakter direkt an Ort und Stelle. Dadurch wird die Verbundenheit von Skulptur und Umfeld besonders spürbar, was Hartwig Mülleitner und seiner Art zu arbeiten sehr entgegenkommt.
Die Idee, „ins Innere des Steins zu gehen“, geht auf eine frühere Auseinandersetzung mit diesem Thema und auf eine bereits existierende konkrete Arbeit zurück: „In den Berg gehen“ lautete damals der Titel des Projektes, bei dem Hartwig die Umrisse seines Körpers mit Hammer und Spitzeisen in den Berg vortrieb. Die Arbeit entstand aus dem Empfinden, dass man, wenn man im Steinbruch steht, eigentlich inmitten des Berges steht.
Diesen Gedankengang greift Mülleitner in Istanbul erneut auf, überträgt ihn aber auf das Meer und den 250 x 250 x 50 cm großen Steinblock, der ihm zur Verfügung steht: So nahe liegend für ihn das Verlangen ist, in das Wasser, das ihn umgibt, einzutauchen, so sehr regt sich in ihm auch die Lust, in den Stein, in die Masse des Steins „einzutauchen“.
Dem nahezu quadratischen Marmorblock möchte der Bildhauer ein zweites Quadrat entnehmen. Die auf den Rohblock skizzierte Form wird mit dem Pressluftbohrer Loch für Loch herausgebohrt, bis das Innere vom Äußeren befreit ist. Über zwei Wochen lang setzt Hartwig ein Loch neben das andere. Die Arbeit erfordert extremen Krafteinsatz. Diese Kraft wird über Wochen vom Stein absorbiert und erst bei den letzten Löchern, kurz bevor sich der Kern von seiner äußeren Schale trennt, mit einer dumpfen Erschütterung explosionsartig freigesetzt.
Auch wenn sich das innere Quadrat vorerst nur um 10 cm gesenkt hat, lässt sich bereits erahnen, wie sich der Hohlraum anfühlt, wie es im Inneren des Steines aussieht.
Durch die im Endeffekt gewählte Neukombination der beiden Teilstücke wird es dem „Benutzer“ ermöglicht, nicht nur optisch, sondern real in den Stein „einzutauchen“, ihn zu betreten, im Inneren des Steines die Kraft des Materials zu spüren.
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