Skulpturenpark Assuan | Ägypten 1993
Ägypten ist eine der ältesten Hochkulturen mit einem unvorstellbaren Gut an erhaltenen Kunstschätzen. Die Geburt der Steinbildhauerei könnte man in diesen alten Hochkulturen suchen, denn hier hat die Auseinandersetzung mit der Skulptur ihren Anfang. Nach Ägypten, an den Ursprung zu reisen, um etwas von der eigenen Kultur dorthin zurückzubringen, ist für den Salzburger Künstler ein schöner Gedankenansatz.
Hartwig Mülleitner bleibt auch in Assuan seinem bewährten Prinzip treu und überzeugt die Auftraggeber davon, dass die Qualität darin besteht, sich Zeit zu nehmen, um Umgebung und Ort erst zu spüren und zu erkunden, ehe man sich mit der Konzeption der Arbeit befasst. Zuerst besichtigte er den Skulpturenpark, in dem es einen riesengroßen Granithügel gibt. Jeder Künstler will sich am liebsten mit einer hochstehenden Skulptur auf dem Gipfel verewigen, nicht so Mülleitner. Er spielt mit dem Prinzip des Entdeckens und wählt für seine Skulptur ein kleines verstecktes Tal am Fuße des Hügels aus, das zum Nil hin abfällt.
Hartwig hat sich, in Respekt vor der alten Kultur, mit der Thematik des unvollendeten Obelisken auseinandergesetzt. Diesen hat er in der ihm eigenen Handschrift realisiert – also einen Stein geteilt, um ihn in anderer Weise wieder zusammenzusetzen. Stein zu brechen bekommt im Zusammenhang mit dem unvollendeten Obelisken eine besondere Bedeutung. Erkennbar ist die spielerische Anlehnung an die unendliche Säule von „Brancusi“, die auch von der Unendlichkeit und der Verbindung zwischen Erde und Himmel von Obelisken inspiriert wurde. Die Vorgangsweise – die Lösung einer räumlichen Situation durch Distanz – wurde hier ähnlich wie in Slowenien realisiert. Der Bildhauer setzte auch hier bewusst etwas nicht zusammen. Das Spiel, das er mit dem Betrachter spielt, ist ein ähnliches: Er arbeitete mit ortsvertrauten Bildern, wie denen zerstörter alter Tempel. Hier wie dort stellt sich die Frage: Sind die herumliegenden Steine Teil der Inszenierung? Sind sie heruntergefallen oder werden sie irgendwann noch eingefügt, wo sie jetzt zu fehlen scheinen? Weiters hat der Künstler hier mit drei Raumachsen gearbeitet. Eine ist die Senkrechte, die durch das Aufeinandersetzen der Steine entsteht. Durch die Distanz zu dem Obeliskenteil, der als Kontraposition dazugesetzt wird, entsteht automatisch die zweite Raumachse. Das Spannende dabei ist, dass der Betrachter, der zwischen diesen beiden Achsen durchspaziert, unbewusst die dritte Raumachse beschreibt, die Skulptur dadurch aktiv erleben kann und zum Teil des Ganzen, des Kunstwerkes wird. Die Skulptur ist so nicht mehr nur etwas, das man unbeteiligt anschaut, sondern etwas, in dem man sich bewegen kann. Damit öffnet Mülleitner nicht nur räumlich etwas, sondern steigert vor allem den Erlebniswert.